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03 Das ideologiekritische Ressentiment


Dieser engen Verzahnung zwischen Unterhaltungsindustrie, Militär und den Öffentlichkeitsinstanzen einer Regierung, die in einen weltumspannenden Krieg eintritt, verdankt sich ein schier unermessliches Foto- und Filmmaterial von den Kriegsschauplätzen der Welt. Anders als noch während des Ersten Weltkrieges griffen die Restriktionen nicht so sehr bei der Produktion des Film- und Fotomaterials, sondern erst bei der Auswertung durch die verschiedenen Zensurbehörden. Egal ob als Zivilisten oder als Angehörige von Army und Navy: Die Kameramänner trugen Uniform und waren immer in die militärische Ordnung eingebunden. In größter zeitlicher Kohärenz zum Kriegsgeschehen produzierten sie einen Bilderstrom, in dem sich die Ereignisse gleichsam als potentielle Erinnerung vervielfachten. Auch wenn das Bildmaterial zum größten Teil in den Archiven des Geheimdienstes oder den Zensurbüros der Armee verschwand – es bildete nicht nur die ikonografische Matrix des Hollywoodkriegsfilms, sondern zugleich die materielle Basis der kulturellen Phantasie- und Erinnerungsarbeit; denn als solche, als kulturelle Erinnerungsarbeit im Modus des Genrekinos stellte sich der Kriegsfilm Hollywoods sehr bald dar.

Man kann durchaus unmetaphorisch von einem Nachleben der historischen Ereignisse in den Bildern sprechen, die wiederum als Bilder in den verschiedenen Formen medialer Kriegsdarstellung ein Nachleben entfalten. Von diesem Eigenleben zeugen nicht zuletzt die Dokumentationen, die im deutschen Fernsehen zu sehen waren, nachdem die Geheimarchive sich öffneten und einiges dieser Materialen freigaben. Im mediengeschichtlichen Nachleben dieser Bildproduktion lässt sich anschaulich greifen, was mit Begriffen wie „kulturelles Gedächtnis“ oder „kultureller Erinnerung“ gemeint sein kann. So steht etwa in einer der jüngsten deutschsprachigen Veröffentlichungen ein medientheoretischer Leitgedanke am Anfang einer umfassenden Recherche zum Krieg der Bilder: „Der Fotoapparat, das Kino und der Fernsehapparat wirkten als Dispositiv der Wahrnehmung sowie zugleich als Speicher des kulturellen Gedächtnisses.“19 Trotzdem findet man dort, wo es um die konkrete Bewertung der historischen Konstellation geht, die tradierten Positionen. Das Bündnis von Hollywoodindustrie und Regierungsapparat provoziert bis in die Gegenwart hinein zunächst und vor allem das ideologiekritische Ressentiment.




Kapitel 3/Abschnitt 2

In der gleichen Arbeit heißt es weiter:

"Nach dem japanischen Überfall auf Pearl Harbor begannen die USA verstärkt mit der Produktion von dokumentarischen Mobilisierungsfilmen, für die man anders als in Deutschland primär Spielfilmregisseure verpflichtete. Diese aus Wochenschau und Dokumentarfilmmaterial kompilierten Filme sollten vor allem über die amerikanischen Kriegsgegner und –ziele informieren. Zu den wichtigsten Produktionen dieser Art wurden Frank Capras zielgruppenorientierte, speziell an Arbeiter, an Farbige sowie an Frauen adressierte Mobilisierungsfilme der WHY WE FIGHT–Serie, die sich qualitativ nur wenig von Produktionen aus Deutschland und Italien unterschieden, sich ausgiebig rassistischer Feindbilder bedienten, Aufnahmen des sowjetischen Dokumentarfilmers Roman Karmen verwendeten und sich bewusst von Leni Riefenstahls TRIUMPH DES WILLENS und NS-Kompilationsfilmen wie FELDZUG IN POLEN und SIEG IM WESTEN hatten inspirieren lassen, die mit dem Oscar ausgezeichneten Kriegsdokumentationen von John Ford, THE BATTLE OF MIDWAY und dessen DECEMBER 7TH, Lewis Milestones Luftkampfilm THE PURPLE HEART (1944), Howard Hawks’ mit aufwendigen Spezialeffekten produzierter Streifen AIR FORCE (1944) sowie etliche andere Combat-Movies.“20 21

Nicht die Absicht, in einem Zug die „wichtigsten Produktionen



dieser Art“ auflisten zu wollen, ist problematisch; selbstverständlich ist diese Aufzählung so repräsentativ oder nicht repräsentativ wie zahllose andere solcher Listen. Das Problem ist die Diskrepanz zwischen dem medientheoretisch fundierten Geltungsanspruch und der Analyse des historischen Materials. Der Geltungsanspruch stützt sich einerseits auf grundlegende theoretische Entwürfe der Bild- und Medientheorie:

"Die medial vermittelte Wahrnehmung des Subjekts indes wurde nicht allein durch die unterschiedlichen Bildapparaturen präformiert, sondern ebenso durch neue räumliche Dispositive und lebensweltliche Anordnungen des Verhältnisses von Mensch und Apparat als Dispositiven der Wahrnehmung.“22

Die medialen Wahrnehmungsdispositive und deren Veränderung seien als konkrete geschichtliche Tatsache zu untersuchen, die Bilder und deren mediale Vermittlung als etwas, das die ‚Formen der Wahrnehmung, des Wissens und der Erinnerung’ präfiguriert. Übrig bleibt letztlich eine medientheoretische Aporie23 und ideologiekritisches Ressentiment. Denn die Vorstellung, dass jenseits der Macht medialer Bilder, hinter dem Schleier der alles überstrahlenden Evidenz der strategisch inszenierten Medienrealität, eine Wahrheit des Krieges oder des Kriegserlebens, der Kriegsgesellschaft oder der Politik der Gesellschaft im Krieg in ihrer Unmittelbarkeit greifbar wäre, hätten wir nur eine andere Medienpolitik, ist so zweifelhaft, wie es die Aussagen über Capra – gemessen am Stand einer weit ausdifferenzierten Forschung zum Verhältnis von Hollywood, Armee und Regierung – sind.24 




Kapitel 3/Abschnitt 3

Denn Capras WHY WE FIGHT-Reihe* war weder an die Arbeiter, noch speziell an die farbige Bevölkerung und nur sehr vermittelt an die Hausfrauen gerichtet. Die Filme wurden als Informationsmaterial für rekrutierte Soldaten produziert und kamen nur ausnahmsweise und in Teilen in die Kinos. Und die komplexe Beziehung dieser Arbeit zu Riefenstahls TRIUMPH DES WILLENS (D 1935) auf den Nenner der Inspiration zu bringen, widerspricht nicht nur dem Selbstzeugnis Frank Capras, sondern auch dem Kenntnisstand der Forschung auf diesem Feld. Auf der Grundlage dieser Forschung hat Martin Loiperdinger bereits 1993 eine Studie25 veröffentlicht, die zeigt, dass die WHY WE FIGHT-Serie eine konzeptuelle Idee aufnimmt, die bereits über einen längeren Zeitraum diskutiert wurde: Ganz allgemein verfolgte man den Gedanken, für die Propagandafilme ausschließlich dokumentarisches Material zu nutzen, sei es das der gegnerischen Propaganda, sei es das der eigenen Newsreels; mit Blick auf Leni Riefenstahls TRIUMPH DES WILLENS wurde daraus der Plan, die gegnerischen Propagandafilme qua Montage in eine neue Perspektive einzurücken und sie gleichsam gegen sich selbst zeugen zu lassen.

Die Behauptung, Capras Filme würden sich qualitativ nicht von der Propaganda der Achsenmächte unterscheiden, verkehrt den Sachverhalt in sein Gegenteil. Das soll im Folgenden gezeigt werden. Dabei geht es nicht um die Kritik einer wissenschaftlichen These, sondern um die Frage, auf welcher Ebene audiovisuelle Bildinszenierungen überhaupt in ihrer politischen Intention greifbar werden und in welchem Sinne sie sich als historische Dokumente lesen lassen. Erst eine Analyse der Inszenierungsstrategien erlaubt es, die vielfach gebrochenen politischen Intentionen in ihren Ausdifferenzierungen kenntlich zu machen. Denn die entscheidende Frage ist nicht, ob Propaganda eine Gesellschaft im Zuge militärischer Mobilisierung für die Ziele des Staates einstimmen will oder darf (das ist selbstverständlich), sondern auf welche Weise sie dies tatsächlich tut. In welcher

Form werden audiovisuelle Bilder eingesetzt, um Gemeinsinn26 zu produzieren und umzuorganisieren? Mit welchen Inszenierungsstrategien sollen dem Wahrnehmen und Empfinden, dem Denken und Fühlen des Einzelnen Perspektiven eingezogen werden, die seine Stellung innerhalb des gesellschaftlichen Lebens auf die Ziele der Kriegspolitik ausrichten? Die entscheidende Frage ist, wie die Filme selbst sich die Zuschauer denken, die sie in ihren affektiven Haltungen und intellektuellen Einstellungen verändern wollen: Welche Vorstellung von Zuschauern und Publikum liegt ihrem Darstellungskalkül zugrunde? Erst auf dieser Ebene – der Konzeptualisierung und Positionierung der Zuschauer im Inszenierungskonzept der Filme – entscheidet sich, welches Verständnis gemeinschaftlichen Lebens, welche Idee der Vergesellschaftung und welche Vorstellung von den Individuen, die diese Gesellschaft bilden, in den Filmen zum Ausdruck kommt. Denn diese Idee ist immer zugleich die Idee des Films von seinem Publikum.

Erst eine Analyse der medialen Inszenierungsstrategien, die auf dieser Ebene Differenzen herzustellen und zu entfalten vermag, kann das Konzept der „Politik der Wahrnehmung“ und des „kulturellen Gedächtnisses“ auf ein mediengeschichtliches Fundament stellen.27 

Im Folgenden soll eine solche Differenzierung herausgearbeitet werden in der Gegenüberstellung von Frank Capras Filmserie mit einem anderen Film von Leni Riefenstahl: TAG DER FREIHEIT – UNSERE WEHRMACHT von 1935. Die Methode des größtmöglichen Kontrasts ist gleichsam eine Versuchsanordnung: Denn wenn die Hypothese stimmt, dass sich die Politik des Films auf der Ebene der Konzeptualisierung der Zuschauer in der filmischen Inszenierungsstrategie entscheidet, dann müssen sich diese Inszenierungskonzepte hier radikal unterscheiden. Es sei denn, man behauptete allen Ernstes, dass beiden Filmen die gleiche Vorstellung von Politik zugrunde liegt.



Literaturangaben und Anmerkungen
* WHY WE FIGHT: Prelude to War (1942) | The Nazis Strike (1943) | Divide and Conquer (1943) | The Battle of Britain (1943) | The Battle of Russia (1943) | The Battle of China (1944) | War Comes to America (1945) [^]
19 Paul, Bilder des Krieges – Krieg der Bilder, S.12. (Herv. von H.K.).  [^]
20 ebd., S. 255.  [^]
21 Dem Anspruch einer medientheoretischen Wende der Geschichtswissenschaft, die das Feld der visuellen Kultur in ihren Gegenstandsbereich einführt, steht eine Analyse gegenüber, die sich zwischen ideologiekritischen Ressentiments („Zugleich wurde der Zweite Weltkrieg für die USA der erste umfassende Medienfeldzugihrer Geschichte und darüber hinaus ein gigantisches Geschäft.“, S. 248) und kulturwissenschaftlicher Metapher („Die Bilder des später als „good war“ bezeichneten Weltkrieges brannten sich tief in das kollektive Gedächtnis der US_amerikanischen Gesellschaft ein.“, S. 249) bewegt. Jenseits seiner symbolischen oder medialen Strukturen ist ein kollektives Gedächtnis eine reine Metapher ohne Referenten.  [^]
22 ebd., S.12.  [^]
23 Vgl. die Besprechung von: Claus Leggewie: Moderne Folterinstrumente, in: die tageszeitung, 11.02.2006.  [^]
24 Paul bezieht sich weder auf das Standardwerk zum Thema von Thomas Doherty, Projections of war, noch etwa auf die Arbeit von Claudia Schreiner-Seip.  [^]
25 Martin Loiperdinger: "Why We Fight" contra "Triumph des Willens" – Feindbilder in der amerikanischen Gegenpropaganda. In: Joachim Schmitt-Sasse (Hg.): Widergänger. Faschismus und Antifaschismus im Film. MAkS Publikationen, Münster 1993, S. 76-90.  [^]
26 Arendt, Vita Activa, S.265.  [^]
27 Anderenfalls gerät der Terminus des „kollektiven Gedächtnisses“ zur bloßen Metapher. Vgl. Anm. 21.  [^]

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