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8.2 Der amerikanische Soldat: Pathos und Ohnmacht - Eine Contradictio in adjecto als Grundkonflikt des Hollywood-Kriegsfilms


Nichts aber scheint dem idealisierten Bild alltäglichen Lebens so sehr zuwiderzulaufen wie diese Form kriegerischer Vergesellschaftung, die ihren Ausdruck im Gleichschritt marschierender Soldaten findet: Darauf zielt die Frage, die PRELUDE TO WAR gleich zu Anfang stellt: „Why are we Americans on the march, what put us in the uniform?“


Der Krieg, der Feind außen, verlangt eine völlige Umorientierung im Inneren der Gesellschaft. Er verlangt nicht weniger, als dass jeder Einzelne genau jene Rechte aufgibt, zu deren Schutz und Verteidigung die Führer der amerikanischen Revolution die Vereinigten Staaten von Amerika gründeten.


Am Anfang des Films steht ein Widerspruch, der sich in dem Soldaten buchstäblich verkörpert. Unterwirft er doch seine leibliche Existenz einem politischen Handlungsvollzug, der seinem eigenen Willen entspringt und zugleich seinem Wesen  

und Wollen zuwiderläuft.


WHY WE FIGHT bewegt sich permanent in einer paradoxen Argumentation: Einerseits decodieren die ersten zwei Episoden der Reihe die Grundstruktur der gegnerischen Propagandabilder, die Geometrisierung und Uniformierung der Masse als unmittelbaren Ausdruck der Versklavung; andererseits wird genau jene Uniformierung und Selbstaufgabe im Kampf gegen die Welt der Sklaven propagiert. Auch wenn PRELUDE TO WAR wie zahlreiche andere Filme versucht, die amerikanischen Soldaten in den Details gegen die maschinenhafte Starre und geometrische Vermassung als Individuen kenntlich zu halten – der Marsch ist weniger streng, die Uniformen sind legerer, und man sieht wieder und wieder in die Gesichter alltäglicher Menschen, die ganz alltägliche Dinge tun –, formuliert er einen unauflösbaren Konflikt. 


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Why We Fight, Episode PRELUDE TO WAR, Frank Capra, USA 1942
  (2. Minute) 


Der amerikanische Soldat selbst verkörpert als Soldat und als Amerikaner einen unauflösbaren Widerspruch. Er hat die Gestalt derjenigen angenommen, die ihm in ihrem Wesen diametral entgegenstehen: der Sklaven in den braunen und schwarzen Uniformen. Es ist dieser unauflösbare Widerspruch zwischen der Würde des Individuums und seiner Selbstaufgabe in den militärischen Vergemeinschaftungsritualen, der das spezifische Pathos des amerikanischen Kriegsfilmgenres begründet.38 Denn dieser Widerspruch steht als unauflösbarer Konflikt im Zentrum zahlloser amerikanischer Kriegsfilme: gleichviel ob es um die Gung-Ho-Filme der Mobilisierungsphase oder um die explizit kritische Auseinandersetzung der Filme der fünfziger Jahre – wie in Fred Zinnemanns FROM HERE TO ETERNITY (USA 1953) – geht. Der klassische Hollywoodkriegsfilm kennt die Dimension des Actionkinos, er kennt den Parcours der Initiation des Helden, die sich im Opfertod erfüllt; aber beides – das Heldenopfer wie die Actionphantasie – ist eingefasst vom Pathos des ohnmächtig leidenden Individuums, seiner Angst, seiner Verzweiflung, seiner Verlassenheit angesichts seiner Auslöschung im militärischen Corps.

 

Ob bei der Landung in der afrikanischen Wüste, in der Normandie oder in Italien, ob im Pazifikkrieg auf Guadalcanal oder Saipan: Der Protagonist des klassischen Hollywoodkriegsfilms ist der Späh- oder der Stoßtrupp, jener kleinste Truppenteil, der in nächster Nähe zum Kriegsgeschehen als Auge, Ohr und Spürnase operiert. Im selben Maße wie dieser zum Sinnesorgan der militärischen Körperschaft wird, verlieren die einzelnen Soldaten den Überblick. Ihr Tun richtet sich nicht mehr am Handlungsradius des eigenen Körpers, sondern an der Befehlshierarchie aus. Diese Wahrnehmung des Infanteristen, der stets an der Grenze zur Blindheit operiert, ist das audiovisuelle Grundmotiv des klassischen Kriegsfilms. Sei es der unsichtbare Feind, der sich in der Nacht, im Dschungel oder in Tunneln und Höhlen unter der Erde verbirgt, sei es das Chaos des Sperrfeuers, die farbigen Wolken der Rauchbomben, die Blitze der explodierenden Granaten: Der Spähtrupp ist das epische Ich, das zur Gänze in ein Geschehen eingeschlossen ist, ohne dass es je eine Sicht auf dieses Ganze hätte. Der klassische Kriegsfilm Hollywoods handelt weit häufiger von dieser Erfahrung der Blendung als von den Triumphgefühlen des Actionkinos, der Illusion des Überblicks. 


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BATAAN. Tay Garnett, USA 1943 
(50. bis 53. Minute)
 

 

 

 

 

 









Beispielhafte Szene für das audiovisuelle Grundmotiv des klassischen Hollywood Kriegsfilm



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