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3 Die Sichtbarkeit sozialer Beziehungen: KATZELMACHER


Auch in den frühen Filmen Fassbinders ist das Theater des alltäglichen sozialen Verkehrs Gegenstand des Schauspiels. Auch bei ihm kann man sagen, dass die Schauspieler Gesten produzieren, die in ihrer eigenen alltäglichen Existenz bereits enthalten sind.29 Nur meint dieses Theater bei Fassbinder gerade nicht das Rollenspiel des sozialen Verhaltens, sondern die Schauspiele des empfindsamen Individuums, das Privattheater der Hysterie, die Passion des sexuellen Verlangens, die pathetischen Ausdrucksformen eines leidenden Ich. Freilich ist diesem Pathos jede Illusion der Lebendigkeit

genommen. Als seien die alltäglichen Gesten und Redeweisen, die zeitgenössischen Moden der Frisuren, der Miniröcke, Schlaghosen und Kittel präparierte Fundstücke, betreibt die filmische Inszenierung eine Art Obduktion am Schauspielerensemble; sie bezieht die Akteure in ihrem Spiel auf den forschenden Blick des Anatomen. Das gestische Ausdrucksspiel zerfällt unter dem Blick der Kamera in die Artefakte eines Schauspiels der Empfindsamkeit, aus dem das Leben gewichen ist. 


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KATZELMACHER. Rainer Werner Fassbinder, BRD 1969 
 (3. Minute)



Daher rührt der Eindruck des Dilettantischen, denn gemessen an der Norm psychologischer Schauspielkunst misslingt die Fiktionalisierung der Figuren. Wir sehen die immer gleichen Schauspieler, die den Figuren zwar häufig ihre Vornamen, nie aber ihren Körper leihen. Sie geben kein Bild der physischen Präsenz der Figur, sondern tragen die Gesten vor, als wäre sie Kostüme, herbeigeholt aus dem Fundus eines alltäglichen Theaters der Empfindsamkeiten.30 In diesem Sinne kann man auch hier von einem nicht-mimetischen Schauspiel sprechen.


 


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KATZELMACHER. Rainer Werner Fassbinder, BRD 1969 
 (13. bis 14. Minute)

Man kann bei Fassbinder dieses Gestaltungsprinzip an der Funktion der Dialoge nachvollziehen. Ohne Rückbindung an eine sinnliche Illusionierung der Figur bleibt jede sprachliche Äußerung für sich bestehen. Die Sätze werden von den Schauspielern als das gesprochen, was sie faktisch sind: vorgeschriebene, gelesene, soufflierte Sprachgesten. Der Dialog verbindet sich nicht zu einer organischen Einheit lebendiger Kommunikation, sondern bildet eine kompositorische Anordnung verschiedener Sprachgesten und Sätze, die wie musikalische Stimmen und Themen mit Posen, Gebärden und Gesten verbunden werden. Ein gesprochener Satz mag so den Ausdruck des gleichgültigen Gesichts eines Zuhörers modeln und es in ein Staunen verwandeln, oder der stiere Blick ins Weite mag die Emphase der Liebesschwüre entleeren; immer aber sind diese Relationen wesentlich abstrakt und willkürlich.


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KATZELMACHER. Rainer Werner Fassbinder, BRD 1969 
 (39. Minute)

Das Gleiche gilt für die physische Darstellung der Schauspieler. Die verschiedenen Ebenen des Schauspiels — Pose, Geste, Mimik — bilden voneinander getrennte Zeichenreihen und Ausdrucksebenen, deren Relationen variabel geworden sind. Die organische Verbindung ist durch eine abstrakte Kombinatorik — Wiederholung, Variation, Gegensatz, Entsprechung, Kontrapunkt — ersetzt. Eine entsprechende Kombinatorik lässt sich auf allen Ebenen des Bildraums und der Montage darstellen.



Literaturangaben und Anmerkungen
29 Vgl. dazu Nicole Brenez: Die Anti-Körper. Abenteuer des klassischen Körpers bei Genet, Fassbinder und Van Sant, in: Unter die Haut. Signaturen des Selbst im Kino der Körper, hg. v. Jürgen Felix, St. Augustin 1998, S. 73-92. [^]
30 Vgl. dazu Nicole Brenez: De la figure en général et du cors en particulier. L’invention figurative au cinéma. Bruxelles 1998, S. 244-252. [^]

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