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04 Eine monadische Spiegelung der Geschichte


Stills aus SENSO, Luchino Visconti, I 1945
Stills aus SENSO, Luchino Visconti, I 1945

Verschiedenen Wirklichkeitsdimensionen








Der Prolog in Senso spiegelt in Bühne und Zuschauerraum, im Musikdrama Verdis und der politischen Aktion des Publikums zwei verschiedene Wirklichkeitsdimensionen – die der Kunst und die der Politik –, um mit dem nächsten Akt diese Spiegelung als Ganzes in einer weiteren Spiegelung aufzufächern: dem Drama der individuellen Gefühle und Leidenschaften, der Begegnung zwischen der Gräfin Serpieri und dem österreichischen Offizier Mahler.



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Eine andere Zeitlichkeit





Der Manierismus der Dekors und die schwelgerische Detailgenauigkeit zielen weder auf die historische Rekonstruktion, die Veranschaulichung einer vergangen Zeit noch auf den Ausdruck der Gefühlszustände und Stimmungslagen der Figur. Die Dekorationen und Musiken, die Kostüme und Architekturen weisen vielmehr auf die Kunst selbst als die Sphäre, in der die Dinge aus der Zeit ihres alltäglichen Gebrauchs herauswachsen. Sie weisen auf die Kunst als eine Übergangszone zwischen der Sinnlichkeit konkreter Individuen und dem gesellschaftlichen Common Sense des guten Geschmacks und der Wahrnehmungskonvention. Sie weisen auf die Möglichkeit der Kommunikation zwischen der Sinnlichkeit einer vergangenen und der einer gewärtigen Welt.


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Bildergalerie
Eine ferne Sinnenwelt. (11 Stills)


Das ästhetische Erleben der Vergangenheit



















Deshalb nimmt in Viscontis Historienfilmen alles, was sichtbar ist, die Form des Dekorativen an – die Frauen mit ihren Krinolinen, die Männer in ihren Uniformen, die Küchengeräte, die Kunstwerke, die Möbel, das technische Gerät. Das Schöne ist die Form, in der die Objekte einer vergangen Empfindungswelt, die Dinge einer fremden, fernen Sinnenwelt in unser physisch-sinnliches Erleben hereinreichen. Dass wir sie als Schönheit erfahren können, dass wir sie ästhetisch – und ausschließlich ästhetisch – erleben, bezeichnet das zentrale Axiom der poetischen Logik der Filme Viscontis: Es bezeichnet die Möglichkeit des Kinos, gegenwärtige Zuschauer in ein Verhältnis zur Vergangenheit zu bringen, die Möglichkeit eines kinematografischen Erinnerungsbildes.

Vom Standpunkt dieser poetischen Logik aus betrachtet, bezeichnet die Kunst eine Sphäre, in der die physisch-sinnliche Realität einer Welt erfahrbar wird, die nicht die unserige, die nicht die gegenwärtige ist. Das bedeutet nicht, dass diese Realität jenseits des filmischen Bildes bereits besteht, dass man sie detailgetreu rekonstruieren, abbilden, nachstellen könnte. Diese vergangene Sinnlichkeit reicht genau soweit in unsere Welt, wie sie zum schönen Augenschein, zum Gesang, zur Musik, zur choreografischen Figuration geworden ist; sie existiert genau so weit, wie sie in einen Bildraum eingegangen ist, der sich dem Zuschauer in seinem ästhetischen Erleben als die Sensibilität einer anderen Zeit, einer anderen Gegenwart erschließt. Alle Zuschreibungen, die sich mit den Historienfilmen verbinden, vom morbiden Ästhetizismus über die pessimistische Weltschau bis zum manierierten Dekorativismus, weisen auf diese poetische Logik zurück. Viscontis Filme entfalten ihre Bildräume als Empfindungswelt einer Sinnlichkeit, die nicht die der Zuschauer ist. Sie entfalten eine Welt, von der er radikal ausgeschlossen ist. Und doch nimmt er in seinem ästhetischen Wahrnehmungserleben, im Erleben der Schönheit der Dinge und Menschen des Films, Anteil an dieser Sinnlichkeit. In diesem ästhetischen Erleben tritt der Zuschauer in eine enge Beziehung zu den Protagonisten der Filme Viscontis: Er teilt mit der Gräfin Serpieri, dem Fürsten von Salina und mit Gustav von Aschenbach (Dirk Bogarde) aus MORTE A VENEZIA deren wehmütigen Schönheitssinn.


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LA CADUTA DEGLI DEI:
verneinte Anteilnahme












Dass es eine solche Anteilnahme in LA CADUTA DEGLI DEI nicht gibt, dass sie in dem begabten Enkel Gunther (Renaud Verley) nur vorgezeichnet ist, um schließlich verneint zu werden, bezeichnet die besondere Stellung dieses Films im Werk Viscontis. Und doch greift auch LA CADUTA DEGLI DEI die grundlegenden Prinzipien des ästhetischen Konzepts wieder auf, die mit SENSO entwickelt waren. Auch dieser Film entwirft einen kinematografischen Bildraum, dessen Architektur durch die Spiegelung unterschiedlicher Wirklichkeiten bestimmt ist: die Wirklichkeit der Kunst und die der Gesellschaft, die der individuellen Leidenschaften und der kollektiven Eruption, die Wirklichkeit einer vergangenen Sinnlichkeit und die des physisch-sinnlichen Erlebens gegenwärtiger Kinozuschauer. In LA CADUTA DEGLI DEI lassen sich drei verschiedene Ebenen solcher Spiegelungen unterscheiden. Die erste Ebene ist die Inszenierung der Villa; sie wird als eine Art topografischer Anordnung der Eigenschaften, der Beziehungen und der Leidenschaften ihrer Bewohner entworfen; die grundlegende Spiegelungsachse bildet hier das Verhältnis der Dinge zu den Figuren; die zweite Ebene ist die dramatische Figurenkonstellation selbst, die sich als Mosaik von Szenarien und Gestalten der europäischen Literatur darstellt; die dritte Ebene ist die Spiegelung zwischen den Interieurs der Villa und dem Außen als die zweier Parallelwelten: das Geburtstagsfest und der Mord an Joachim (Albrecht Schoenhals) hier, das Fest der SA und das Massaker dort; die großbürgerliche Villa hier, die Wohnung in der Mietskaserne, dem Ort der Schandtat Martins (Helmut Berger), dort.



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