06 Why We Fight - Die Vielstimmigkeit der Bilder
Es ist dieses im Inszenierungskalkül der Bilder greifbare Gemeinschaftsideal, das Capra zu der Überzeugung gelangen ließ, die Bilder könnten gegen ihre Urheber gerichtet werden und für sich selber sprechen.31 Die medialen Selbstinszenierungen der Gegner müssten im Grunde zeigen, was an diesen Gegnern verwerflich ist. Und das ist vor allem deren Idee der Volksgemeinschaft.
So entwickelt Capra seine eigene filmische Konzeption aus dem Studium gegnerischer Propaganda und konzipiert die erste und die zweite Episode des WHY WE FIGHT-Projekts dezidiert als Gegenentwurf zum Reichsparteitagsfilm. Er entwickelt die Montage von Materialien aus Wochenschau, Dokumentationen und gegnerischer Propaganda zu einem dekonstruktivistischen Verfahren, das man mit den Strategien des found-footage-Films vergleichen könnte. Die Filme sehen sich denn auch in einzelnen Episoden an wie eine kinematografische Analyse der Vergemeinschaftungsrituale faschistischer Gesellschaften. Im Folgenden steht die erste Episode der Serie, PRELUDE TO WAR, im Zentrum. Der zweite Film der Serie, THE NAZI STRIKE, der in vielen Details eine explizite Dekonstruktion von TRIUMPH DES WILLENS darstellt, ist von Martin Loiperdinger analysiert worden.32
Aus dem Vorspann von PRELUDE TO WAR
PRELUDE TO WAR beginnt mit einer Frage: „Why are we on the march? What put us in the uniform?“ Damit sind zu allererst und sehr direkt die Truppen angesprochen: die Soldaten in den Ausbildungscamps und auf dem Weg in die Schiffe und Flugzeuge, die sie an die entferntesten Orte der Welt bringen. Auch wenn die rhetorische Funktion dieser Frage auf der Hand zu liegen scheint, wird die Antwort erst am Ende des Films gänzlich zu fassen sein.
Why We Fight, Episode PRELUDE TO WAR, Frank Capra, USA 1942 (2. bis 4. Minute, DVD-Edition: GoodTimes DVD 2000)
Individualisierung der Soldaten
Zunächst wird die Frage mit dem Bild marschierender amerikanischer Soldaten assoziiert: helle Uniformen, Musik, lockerer Marsch, aufgelockerte Formation und – in der eingeschnitten Halbnahaufnahme erkennen wir sie trotz Helm und Uniform – individuelle Gesichter.
Stills aus Why We Fight, Episode PRELUDE TO WAR, Frank Capra, USA 1942 (DVD-Edition: GoodTimes DVD 2000)
Dann, in einem scharfen polemischen Ton, der nahe legt, dass die Frage damit eigentlich erledigt sei, skandiert der Film mögliche Antworten. Die Kriegsschauplätze der Welt werden aufgerufen: Die wiedererkennbaren Bilder aus den Newsreels und deren geografische Verortung zeichnen dem Publikum eine gedankliche Bewegung vor, die von der Offstimme vorangetrieben und gegliedert wird: ist es wegen Pearl Harbor...?! wegen Polen, wegen China, Russland. Es betrifft so oder so die ganze Welt.
Die Montage formuliert dabei einen Assoziationsstrom, in dem Bilder von rauchverhangenen Explosionen, von Kanonen und Granaten, von vorwärts drängenden Tanks und Truppentransportern, von Flugzeugen und Bombenregen immer neu ins Verhältnis gesetzt werden zu Bildern von zerberstenden Gebäuden und explodierenden Landschaften, brennenden Häusern und Schiffen, zerstiebenden Menschenmassen und den geschundenen Frauen, Kindern und Männern.
Why We Fight, Episode PRELUDE TO WAR, Frank Capra, USA 1942 (Ausschnitte aus 3. und 4. Minute)
Überhöht im Donnern des Schlachtgetöses wird die Inszenierung der Kräfte der Waffentechnologien auf ihr Gegenstück bezogen: auf Bilder verletzlicher menschlicher Körper, getöteter, verwundeter Kinder, Gesichter entsetzter, verzweifelter Frauen, aufgereihter Leichen.