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06.1 Schwarz auf Weiss – Einige Montageprinzipien und die Produktion einer sinnlichen Evidenz der Argumente


Das Stakkato der wütenden Anklage wird getragen von einer komplexen Montage vorgefundenen Bildmaterials, das zu einer affektgeladenen Pathosformel verdichtet wird. Gegliedert durch die Rufe der Offstimme und die wiederkehrenden Explosionen fügt die Montage Element für Element, Bildschicht für Bildschicht zu einer in sich geschlossenen Ausdrucksbewegung. Ihren Grund findet diese Komposition in der dichten Fügung der unterschiedlichen Bewegungsebenen nach streng durchgeführten Kombinationsprinzipien.

Erstens:
Der Gegensatz von hellen und dunklen Wahrnehmungssequenzen auf der Ebene des Einstellungswechsels.  


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Why We Fight, Episode PRELUDE TO WAR, Frank Capra, USA 1942 (3. Minute)

Bildern von Explosionen, in denen Landschaften im Lichtblitz zerstieben, antworten Bilder sich ausbreitender Rauchschwaden, die alles Licht verschlingen; prasselnd sich ausbreitende Feuersbrünste werden kontrastiert mit sich ausdehnenden Staubwolken, die unaufhaltsam alle gegenständliche Kontur auslöschen.



Zweitens: 

Die Überblendung, der fließenden Übergang, die Fusion oder Schichtung verschiedener Bilder und Bildebenen. 


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Why We Fight, Episode PRELUDE TO WAR, Frank Capra, USA 1942 (Ausschnitte aus der 3. und 4. Minute)

Die schemenhaft auftauchenden Tanks, die über brennende Ruinen oder die aufgereihten Leichen hinweg und auf die Zuschauer zurollen. Sie verbinden sich in der Überblendung mit dem aufblitzenden Gefechtsfeuer, den Rauchschwaden und Feuerherden zu einer Bildschicht, die alle anderen Bilder durchzieht. Aufs Ganze gesehen formieren sie sich zu einer Bewegungsfiguration, die der gesamten Montagesequenz den Charakter einer kontinuierlichen morphologischen Wandlung gibt.



Drittens: 

Der streng organisierte Wechsel gegensätzlicher Bewegungsrichtungen innerhalb der Einstellung (vertikal, horizontal, diagonal, gegenläufig vom Bildvordergrund in den Bildhintergrund oder von der rechten zur linken Bildseite und jeweils umgekehrt). 


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Why We Fight, Episode PRELUDE TO WAR, Frank Capra, USA 1942 (Ausschnitte aus der 3. und 4. Minute)

Diese in Gegensätzen angeordneten und aufeinander bezogenen Bewegungsrichtungen übersetzen die Gewalt, von der die Stimme redet, in ein audiovisuelles Wahrnehmungsmuster: in eine sich permanent steigernde Spannung zwischen einander widerstrebenden Dynamiken.



Viertens: 

Die zeitliche Strukturierung durch Symmetriebildung und Rhythmus 


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Why We Fight, Episode PRELUDE TO WAR, Frank Capra, USA 1942 (3. und 4. Minute)

Die gesamte Montagesequenz ist gegliedert durch die regelmäßig wiederkehrenden, in den Himmel gerichteten Kanonen, die für wenige Sekunden mal links, dann rechts im Bild sichtbar werden, um donnernd zu explodieren. Sie strukturieren die Sequenz wie ein Händeklatschen oder ein Doppelpunkt, dem die Offstimme antwortet, in dem sie die Namen überfallener Länder ausruft: Polen, Griechenland, Holland...



Die dichte Fügung dieser Montagesequenz (aus harten Schnitten und Überblendungen, inneren Bewegungsgegensätzen und rhythmisierenden Wiederholungen) wird von den Zuschauern als Einheit einer mehrdimensionalen Ausdrucksbewegung realisiert. Ihnen erschließen sich, auf das Ganze der Sequenz gesehen, die Elemente und Ebenen des Montagebildes als Zusammenprall einander widerstrebender Dynamiken und gegensätzlicher Kräfte.



Wie bei einer musikalischen Komposition wird der in der Zeit organisierte Wahrnehmungsprozess selbst als eine streng gegliederte Figuration gegensätzlicher Wahrnehmungsempfindungen realisiert. Für die Zuschauer wird jedes Moment ihres Wahrnehmungsempfindens zum Durchgangsmoment eines sich in der Zeit entfaltenden Ausdrucksgefüges. Und dieses wiederum ist in jedem Moment verwoben mit dem Erkennen der Bildmotive und Motivverknüpfungen, dem Sinn der Worte des Sprechers und dem semantischen Begreifen der audiovisuellen Formeln. Die Montagesequenz formt ein ästhetisches Wahrnehmungserleben, das in jedem Moment den Prozess sinnhaften Verstehens mit dem Erfassen dynamischer Muster und Ausdrucksfigurationen kurzschließt. 

Realisierung der Montagesequenz als Einheit einer mehrdimensionalen Ausdrucksbewegung 


Was so entsteht, ist ein kostbares Gut, das jeder propagandistische Film zu erzeugen sucht: der Eindruck, man könne die Welt, von der dort die Rede ist, in ein und demselben Zuge sehen, fühlen und verstehen: Was so entsteht ist sinnliche Evidenz: Die Evidenz, dass die Welt, von der mir erzählt wird, dort auf der Leinwand offen sichtbar ist, und das alles, was dort sichtbar ist, sich unmittelbar ausdrückt und mir deshalb ein affektives Erleben erschließt. Aus dieser hergestellten Evidenz gewinnt die Offstimme ihre Überzeugungskraft.



Mit Blick auf dieses Verfahren unterscheidet sich Capras Film tatsächlich nicht von dem Leni Riefenstahls. Doch wechselt der Film durchaus von Sequenz zu Sequenz seine ästhetische Modalität. Er führt ganz unterschiedliche Inszenierungsformen und Darstellungsmodi ein, von denen die Assoziationsmontage des beschriebenen Typs nur eine, wenn auch dominante, Variante darstellt.

Die Musik wechselt, der dramatischen Untermalung folgt ein entspannt-freudiger Marsch. Das Schmelzfeuer in einer Stahlkocherei bildet das Scharnier, das die erste mit der zweiten Sequenz verbindet.



Wir sehen eine typische Querschnittsmontage, wie man sie von Ruttmann, aber auch von der französischen Filmavantgarde der dreißiger Jahre kennt.

Die Herstellung sinnlicher Evidenz als das eigentliche Anliegen propagandistischer Filme 


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Why We Fight, Episode PRELUDE TO WAR, Frank Capra, USA 1942 (4. bis 5. Minute)

Die ineinander überblendeten Bewegungsmuster von Produktionsmaschinen und Fließbändern treten an die Stelle der Explosionen. Statt berstender Häuser und verdunkelter Landschaften sehen wir ein hundertfach vervielfältigtes Bewegungs- und Formenspiel, glitzernden Stahl und endlose Kolonnen gleichförmiger Dinge: Geschosse, Flugzeuge, Tanks.



Die Massenproduktion der Waffenindustrie wird als Icon inszeniert, in dem zugleich die militärische Kraft der amerikanischen Industrie und die Veränderung – erneut die Frage: Wer veränderte unsere Lebensweise? –, die der Krieg für die Gesellschaft bedeutet, zum Ausdruck kommen. 



Analog zu den aufmarschierenden Soldaten in ihren hellen Uniformen spiegelt sich im lichten Bewegungsspiel des funkelnden Stahls die euphorische Bejahung der zivilen Welt in den Bildern kriegsbereiter Waffenschau. Der Film kehrt denn auch zum Ausgangsbild, den aufmarschierenden Soldaten, zurück: „What put us in the uniform?“ 


WaffenproduktionWaffenproduktion-soldaten
BildergalerieStills aus Why We Fight, Episode PRELUDE TO WAR, Frank Capra, USA 1942 

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