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05 Faschistisches Pathos und dynamisierte Wahrnehmung


Das Band aber, das die Zuschauer – das sind hier die Soldaten selbst – in dieses Leben einbindet, ist eine der grundlegenden Verstrebungen des medialen Dispositivs Kino: die Fähigkeit nämlich zur Mobilisierung des Wahrnehmungs- und Empfindungsraums seiner Zuschauer. Ein Potential, das bereits durch die historische Avantgarde emphatisch in der Metaphorik des Krieges beschrieben wurde:

„Ich bin das Kinoauge. Ich bin ein mechanisches Auge. Ich, die Maschine, zeige euch die Welt so, wie nur ich sie sehen kann. Von heute an und in alle Zukunft befreie ich mich von der menschlichen Unbeweglichkeit. Ich bin in ununterbrochener Bewegung, ich nähere mich Gegenständen und entferne mich von ihnen, ich krieche unter sie, ich klettere auf sie, ich bewege mich neben dem Maul eines galoppierenden Pferdes, ich rase in voller Fahrt in die Menge, ich renne vor angreifenden Soldaten her, ich werfe mich auf den Rücken, ich erhebe mich zusammen mit Flugzeugen, ich steige und falle zusammen mit fallenden und aufsteigenden Körpern.“ 28

Dziga Vertov beschreibt mit diesen Worten die medientechnische Mobilisierung der Wahrnehmung. Im Actionfilm wird diese Dimension des Kinos zum Grund des ästhetischen Genießens: und als solcher, als ein spezifischer Modus ästhetischer Erfahrung, mit dem die Verhältnisse individueller Körperlichkeit und Technik in ein Verhältnis von medialer Inszenierung und Zuschauer übersetzt werden, spielt diese Dimension in jedem Kriegsfilm eine gewichtige Rolle. Die Frage ist allerdings, wie man dieses Potential realisiert: ob man es in Beziehung setzt zur faktischen Inkongruenz der individuellen Wahrnehmung und der Komplexität der Lebenswelt, oder ob man es als Illusion eines Blicks von der Höhe eines Feldherrnhügels in Szene setzt, dem das Schlachtgetümmel zum genussreichen Schauspiel wird.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Die medientechnische
Mobilisierung der 

Wahrnehmung 


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Bildergalerie

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BildergalerieStills aus TAG DER FREIHEIT - UNSERE WEHRMACHT, Leni Riefenstahl, Deutschland 1935  

Wenn man heute Riefenstahls Film sieht, dann erstaunt es doch, wie selbstverständlich das avantgardistische Konzept des Kinos – die Idee eines dynamisierten, von aller Alltagswahrnehmung entkoppelten Raumbilds – zur rein funktionalen Wirkungsästhetik werden konnte. Mit ihr wird die Position Hitlers, hoch über der ihm dargebrachten Heerschau, in eine Illusion für Kinozuschauer übersetzt. Der Krieg selbst wird in dieser Perspektive zum Schauspiel der Vergesellschaftung. Inszeniert ist die Auslöschung des alltäglichen Lebens als ein feierliches Gemeinschaftserleben, an dem die Zuschauer in ihrem ästhetischen Genießen Anteil haben. Walter Benjamin hat dieses paradoxe Verhältnis in seinem Aufsatz zum Kino treffend beschrieben: „Die Menschheit, die einst bei Homer ein Schauobjekt für die Olympischen Götter war, ist es nun für sich selbst geworden. Ihre Selbstentfremdung hat jenen Grad erreicht, der sie ihre eigene Vernichtung als ästhetischen Genuß ersten Ranges erleben lässt.“29
 Es ist die Illusion eines Blicks, der die zeitlich-räumliche Komplexität jedweder Explosion bewältigt, weil sein Leben in der Verschmelzung von Technik und Menschenkörpern selber begründet liegt. Riefenstahls TAG DER FREIHEIT entfaltet ein Pathos, von dem Hannah Arendt sagt, dass sich kein Staat offen zu ihm bekennen könne: die ‚Gleichheit der Menschen vor dem Tod’ als Ideal der Volksgemeinschaft; ein Ideal, das – ich zitiere Hannah Arendt – „in den kollektiven Gewalthandlungen militärischer Unternehmungen“ seine Verwirklichung findet.30 

Der Krieg als Schauspiel der Vergesellschaftung 


28 Dziga Vertov, zitiert nach Paul Virilio: Krieg und Kino. Logistik der Wahrnehmung, Frankfurt/M. 1986, S. 36. [^]
29 Walter Benjamin: Das Kunstwerk im Zeitalter seinen technischen Reproduzierbarkeit. Dritte Fassung, in: GS Bd. I/2, Frankfurt/M. 1991, S. 508. [^]
30 Hannah Arendt: Macht und Gewalt, München 1970, S.69. Arendt schreibt, dass ein solcher Appell als politische Parole ausgeschlossen sei; Riefenstahls Filme legen nahe, dass er sich gleichwohl auf der Ebene des ästhetischen Genießens den Zuschauern implantieren lässt.

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